Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Reker,
Sehr geehrter Herr Kulturdezernent Charles,
Sehr geehrte Politiker:innen,
Anfang der 1980er Jahre hattee in Köln einer eine Idee. Der wollte etwas verändern, weil er ein Potential erkannt hat, das es dringend auszuschöpfen galt: Die freie Kultur! Der Kulturdezernent Peter Nestler erkannte den Wert der freien Kunst für die Stadt und ihre Bewohner:innen. Er konnte die Politik davon überzeugen und so die nötigen Strukturen schaffen, die zur Bildung des Kulturamtes und in der Folge zur Entstehung von Produktionshäusern, Spielstätten, Festivals und freien Gruppen im Bereich Tanz, Theater, Performance und zeitgenössischem Zirkus führten. Viele Künstler:innen sind seit Jahren und Jahrzehnten fest in Köln etabliert und schaffen Produktionen, die seitdem neben den städtischen Institutionen wesentlich das kulturelle Profil der Stadt prägen. Die freie Szene ist aber nicht nur wesentlicher Mitversorgerin des kunstinteressierten Publikums, sondern auch Arbeitgeberin von mehr als eintausend Kulturschaffenden, die mit ihrer Arbeit einen spürbaren Beitrag leisten für den Zusammenhalt, die Attraktivität und das Lebensgefühl der Stadt. Was für eine Weitsicht eines Kulturdezernenten, seines Teams und einer Politik, die Strukturen für so eine Entwicklung zu schaffen!
Diese Entwicklung ist im November 2024 endgültig zum Erliegen gekommen. Mehr noch, sie nimmt Schaden! Die inflationsbedingten Kostensteigerungen muss die freie Szene seit Jahren selbst ausgleichen, ebenso die Kosten für gestiegene Honorare und Gehälter, Material, Mieten, Transporte etc. Der Bürokratieaufwand wird immer höher, dadurch teurer und bindet Ressourcen. In den Bereichen Technik, Verwaltung und Marketing wird es immer schwieriger, Personal zu halten und überhaupt zu finden, da die Bezahlung zu gering sind. Die Gehälter des festangestellten Personals liegen in allen Bereichen zwischen 30% und 50% unterhalb vergleichbarer Tariflöhne. Um einigermaßen angemessene und von einigen Fördermittelgeber:innen auf Basis der empfohlenen Honoraruntergrenzen geforderte Proben- und Vorstellungshonorare bezahlen zu können, muss entweder die Anzahl der beteiligten Künstler:innen reduziert oder an anderer Stelle gespart werden. Die Konsequenz ist, dass das Angebot bröckelt. In der darstellenden Kunst haben die ersten Häuser und Gruppen ihr Programm bereits eingeschränkt, weil der ehemalige Standard nicht mehr finanzierbar ist. Es gibt weniger Produktionen und weniger Vorstellungen.
Und jetzt soll auch noch bei der Kultur gespart werden. Obwohl sich die Einsparungen für den Haushalt nur im Promillebereich bewegen und damit keinen nennenswerten Einfluss auf die Konsolidierung nehmen werden. Die Auswirkungen auf die Kulturszene hingegen werden immens sein! Übrigens nicht nur auf die Kulturszene: Auch die Bereiche Bildung, Soziales und Tourismus werden von Kürzungen bei der Kultur betroffen sein, da die freie Szene hier längst wesentliche Aufgaben übernommen hat. Und dann sind auch noch die beiden wichtigsten Verwaltungsstellen in der Zuständigkeit für die freie Szene unbesetzt: Die Leitung des Kulturamtes ist seit sieben Monaten vakant. Die Referate für Tanz, Theater und Musik seit zwei Monaten, obwohl seit Jahren bekannt war, dass die bisherigen Stelleninhaber:innen im vergangenen Sommer in den Ruhestand gehen werden. Und das unmittelbar bevor der Haushalt aufgestellt wird. Wir erwarten hier ein klares Handeln im Sinne der Unterstützung der freien Kulturszene!
Die freie Szene und insbesondere der freie Tanz kämpfen seit Jahren unermüdlich für die Schaffung eines großen Produkonshauses von überregionaler Bedeutung. Im Kontext der Debatte zur Nachnutzung des
Depots hat die freie Szene mit Nachdruck daran gearbeitet, diesen Raum als einen Ort für freien Tanz, internationale Festivals, Theater und zeitgenössischen Zirkus zu etablieren. Im Sommer 2023 wurde mit
einem wegweisenden Ratsbeschluss ein bedeutender Schritt in diese Richtung getan. Aufbauend auf diesem Beschluss hat die AG Depotopia intensiv an einem Konzept zur gemeinsamen Nutzung gearbeitet.
Doch trotz anfangs vielversprechender Kooperation ist dieses Projekt im November 2024 nur noch ein blasser Schatten seiner ursprünglichen Vision. Die angestrebte, sinnvolle und zielgerichtete Zusammenarbeit auf Augenhöhe wurde inzwischen durch radikale Top-down-Konsolidierungsmaßnahmen ersetzt. Diese Entscheidungen wurden ohne Rücksprache mit der freien Szene und ohne Rücksicht auf die künstlerische Praxis, die Bedürfnisse des beteiligten Personals sowie die Funktionalität und Nachhaltigkeit des Ortes getroffen. Die Streichung der Tanzkompanie, der Ausschluss großer Teile der freien Szene, die Kürzungen bei der Infrastruktur sowie die geplante Vermietung vom Depot 2 entsprechen in keiner Weise dem Ratsbeschluss. Diese Maßnahmen werfen viele unbeantwortete Fragen auf und lassen die ursprüngliche Idee, einen lebendigen, kreativen Raum für Köln, das Publikum und die Szene weiterzuentwickeln, zunehmend in den Hintergrund treten. Dieser kurzsichtige Plan, die zukunftsweisende Vision des Depots und die Verpflichtungen gegenüber der freien Szene zu umgehen, ist nicht tragbar und darf nicht bewilligt werden!
Sehr geehrte Frau Reker, sehr geehrter Herr Charles, sehr geehrte Politiker:innen,
bei allem Verständnis für die herausfordernden Zeiten und Unsicherheiten in vielen Bereichen,
bitte übernehmen Sie Verantwortung gegenüber der freien Kulturszene!
Wenn hier nicht umgehend ein Umdenken stattfindet, geht ein wesentlicher Teil Kölner Identität für immer verloren. Übernehmen Sie Verantwortung, sonst hat Köln die längste Zeit eine der lebendigsten, vielseitigsten und größten Szenen der freien darstellenden Künste in Deutschland gehabt!
Susanne Beschorner, Andrea Bleikamp, Svenja Hoffeller, Manuel Kisters, Manuel Moser, Bernd Schlenkrich, Tim Behren
Vorstand des VdK – Verein für darstellende Künste Köln